Kurzfassung: Wir fühlen uns immer noch wie zuhause im «Turaco Homestay» von Osward. Letzte Woche waren wir mit unserer lieben Schwester Diana mehrmals in Arusha – mal um die schöne Natur nördlich der Stadt kennenzulernen (ich hab meine erste Bachwanderung gemacht), mal um an verschiedenen Märkten einzukaufen, mal um einen Arzt zu konsultieren im Spital, uns in der Shopping-Mall etwas zu entspannen – und später in der Augenklinik noch neue Brillengläser für mich zu bestellen. Gleichzeitig besuchten wir vormittags jeweils für ein paar Stunden die Kita, welche Osward mit der Zorah NGO am Aufbauen ist. Dann habe ich diese Woche noch gelernt, warum die meisten Kinder und Jugendlichen hier ihre Haare kurz tragen… Doch nun eines nach dem andern und alles etwas ausführlicher…
Geld, Geld, Geld,…
Ihr habt euch vielleicht schon gefragt, wie die Preisverhältnisse hier so sind. Um ein wenig eine Idee zu kriegen, hier ein paar Beispiele:
| Tansania-Schilling | Schweizer Franken | Wofür? |
| 700 | 0.20 | die 30-minütige Busfahrt von hier nach Arusha |
| 2’000 | 0.60 | – 5dl CocaCola – 1 frische Ananas – Motorradfahrt von der Hauptstrasse zu unserer Unterkunft |
| 5’000 | 1.50 | – FlipFlops für Kind – Tuktuk-Fahrt von der Hauptstrasse zu unserer Unterkunft |
| 10’000 | 3.- | – 1 Stunde im Kinderspiel-Paradies oder – 15 Minuten mit dem Elektro-Spielauto herumfahren im teuren Shopping-Center |
| 20’000 | 6.- | – Menü in einem teuren Restaurant – monatliche Gebühren für die Kinder der Zorah NGO-Kita (für die Eltern, die es sich leisten können) |
| 26’000 | 8.- | Miete einer günstigen 1-Zimmerwohnung |
| 30’000 | 9.- | Kurzhaarschnitt im teuren Shopping-Center |
| 78’000 | 24.- | Arztkonsultation und Medikamente in einer Privatklinik |
| 90’000 | 27.- | 1 Stunde Wellness-Behandlung im teuren Shopping-Center |
| 150’000 | 45.- | zwei neue Brillengläser |
| 195’000 | 60.- | Miete der Kita-Räumlichkeiten der Zorah NGO |
| 250’000 | 75.- | Lohn der ausgebildeten Betreuungsperson in der Kita |
| 2’000’000 | 600.- | Jährliche Schulgebühren für den Besuch eine Privatschule (inkl. Bücher, Ausflüge) |
Vielleicht fällt euch auf, dass ich im teuren Shopping-Center inkl. Besuch in der Augenklinik – also in einem Tag – locker den Lohn der Betreuungsperson der Kita ausgegeben habe: mit etwas Wellness, gutem Essen für uns alle, Spielzeit für Nio und neuen Brillengläser (ohne Rahmen). In solchen Momenten weiss ich manchmal nicht, wie ich mich fühlen soll. Als Prinzessin? Oder als verlorene Person in einer total ungerechten Welt?
Ich vermute, dass eine Kita-Betreuerin in der Schweiz rund CHF 4’500.- verdient. Wenn ich mir überlege, was ich in einem teuren Shopping-Center in der Schweiz alles konsumieren müsste, um diese CHF 4’500.- in einem Tag aufzubrauchen!? Ich schätze, dass ich für dieselben Dinge in der Schweiz auf maximum CHF 1’000 kommen würde. Wie ihr seht – es fällt mir schwer, diese Verhältnisse in irgendeine Relation zu setzen. Irgendwas läuft einfach etwas schief mit dem Geld – hier und in der Schweiz.





















Die Kita der Zorah NGO
Letzte Woche besuchten wir jeden Tag die Kita der Zorah NGO. Am ersten Tag sollte die neue Betreuuerin ihren Job antreten. Doch überraschenderweise blieb sie fern, irgendetwas hatte sie dazu bewogen diese Arbeit doch nicht anzunehmen. Doch sie kommunizierte das Osward erst nachdem er sie am Montagmorgen anrief und sie nach ihrem Verbleib fragte.

Glücklicherweise ist eine der beiden Mitgründerinnen der NGO, Veronica, ausgebildete Lehrerin und da momentan Schulferien sind an ihrer Schule, konnte sie letzte Woche für den Unterricht einspringen. Osward und Juliet, die Kassierin der NGO und dritte Person im Gründungsgremium, waren beide die ganze Woche ebenfalls anwesend und unterstützten Veronica, wo sie konnten. Plus, beschäftigten sie sich erneut mit der Rekrutierung einer neuen Betreuungsperson. Glücklicherweise sagte ihnen am Donnerstag Rachel zu – eine junge sympathische Frau, welche bereits Berufserfahrung hat auf dieser Stufe.
Am selben Nachmittag kam noch eine andere junge Frau für ein Vorstellungsgespräch vorbei. Sie beginnt nächstes Jahr ihr Medizinstudium und sucht deshalb für die verbleibenden Monate eine Beschäftigung. Sie wird sich vor allem um die Küche (Porrdige und Mittagessen) kümmern, für die Reinigung der Räumlichkeiten sorgen und wo möglich die Betreuerin mit der Betreuung der Kinder unterstützen. Für mich war interessant zu beobachten, dass beide jungen Frauen in Begleitung ihrer Schwester zum Vorstellungsgespräch gekommen sind. Bei der jüngeren Person war die Schwester auch beim Gespräch anwesend und wurde prompt um eine Referenz für ihre Schwester gebeten. Sprich, nun hoffen wir, dass Rachel heute gut startet in der Pazuri Nursery – und die Kita so etwas Stabilität gewinnen darf.
Nach allem Organisatorischen – hier noch ein Einblick in den Kita-Alltag, den ich bisher beobachten konnte. Die Kinder kommen zwischen 8 und 9.30 Uhr in der Kita an. Wobei die Kinder, wie in der Schule, an ihren kleinen Tischen sitzen und zur Wandtafel schauen. So lernen sie englische Buchstaben, Zahlen und Lieder. Circa um 10 Uhr gibt es Maismehl-Porridge – eine nahrhafte Zwischenmahlzeit. Danach sind sie bei trockenem Wetter etwas nach draussen gegangen und haben nochmals etwas spielerischer Englisch gelernt – zum Beispiel mit einem Ball im Kreis sitzend. Oder sie haben mit den Farbstiften, die ich für sie gekauft habe, frei etwas gemalt. Zum Abschluss haben wir meistens englische Kinderlieder gehört und uns dazu bewegt. Zwischen 11.30 und 13 Uhr werden die Kinder wieder abgeholt. Wenn die Sommerferien vorbei sind, wird es dann jeweils zwischen 13 und 14 Uhr sein, weil sie dann noch das Mittagessen in der Kita einnehmen.
Ja, und wer meinen Sohn kennt – und die vielen «freien-Spiel-Sequenzen», die es in den Schweizer Kitas gibt, der oder die versteht, dass dieses eher straffe Programm für ihn eine Herausforderung ist. So war das Stillsitzen auch mit meiner Begleitung schwierig für ihn und er freute sich jeweils auf das freie Herumtanzen und -springen am Ende des Vormittags.
In diesem Sinne sehe ich meine Aufgabe hier vor allem als «Fundraiserin» und Kommunikationsbrücke nach Europa. Der Entwurf für das Crowdfunding steht nun. Diese Woche nehmen wir noch ein Video auf – und dann sammeln wir während 30 Tagen Geld, um die Kita weiterzuführen, eine Kindergartenklasse zu starten und für ein Startkapital für den Erwerb eines Grundstücks für ein eigenes Schulgebäude. Denn die Vision vom Team der Zorah NGO ist nicht nur eine Kita und ein Kindergarten, sondern auch eine Primarschule, die zugänglich ist für Kinder aus benachteiligten Familien. [Nachtrag: am 10. August haben wir das Spendenziel für die Weiterführung der Kita, sowie die Eröffnung einer Kindergartenklasse erreicht!]








Haare & Schule
Noch ein Schulthema – was für mich etwas schwer verständlich ist, dass es überhaupt zur Schule gehört. Auf unserer Reise ist mir schon bald aufgefallen, dass Mädchen hier oft sehr kurze Haare tragen. Auch Diana, welche aktuell die letzte Klasse vom Gymnasium besucht, trägt ihr Haar ganz kurz. Irgendwann hat sie mir dann erklärt, dass hier die Schulleitung bestimmt, wie die Kinder die Haare tragen dürfen. Einerseits aus Hygienegründen, andererseits für weniger Ablenkung während dem Unterricht. So ist es an ihrem Gymnasium zum Beispiel so geregelt, dass sie die Haare entweder ganz kurz tragen müssen (rasiert mit kürzester Kürze) oder eine Kopfbedeckung tragen müssen, welche die Haare versteckt. Bis vor kurzem durfte sie an ihrer Schule noch eine Mütze tragen zu diesem Zweck – denn dort, wo sie zur Schule geht, wird es bis zu 0 Grad kalt, deshalb war das neben dem Haare verstecken auch eine Möglichkeit den Kopf warm zu behalten. Doch ab dem neuen Schuljahr wird das nicht mehr möglich sein – neu müssen die Mädchen, welche die Haare nicht geschoren haben, eine Hijab tragen. An manchen anderen Schulen (tendenziell an Privatschulen) ist die Regel so, dass die Haare entweder kurz sein müssen oder geflochten sein müssen. Geflochtene Haare setzen jedoch voraus, dass in der Familie das nötige Kleingeld vorhanden ist, damit sich die Mädchen die Haare flechten lassen können. Ich habe hier selten Jungs mit geflochtenen Haaren gesehen, wenn dann erwachsene Männer bzw. mehr Männer mit Rastas als geflochtenen Haaren.
Mich entrüstet diese Regelung immer wieder aufs Neue, weil mich diese Handhabung vor allem an Gefängisse erinnert. Doch Diana beruhigt mich immer wieder und meint, dass es für sie gar nicht so schlimm sei: langes afrikanisches Haar braucht sehr viel Zeit für die Pflege, die Strassen hier sind staubig = die Haare werden schneller schmutzig – und sowieso sei sie es sich gewohnt und sie freue sich auf ihre neuen Freiheiten nach dem Abschluss des Gymnasiums. Gleichzeitig habe ich mir überlegt, dass es früher für Schweizer Mädchen wohl auch strengere Haar-Trage-Regeln gab bzw. die meisten zwei Zöpfe trugen!? Jedenfalls habe ich Diana das Foto von der Zürcher SP-Kantonsrätin Mandy Abou Shoak gezeigt, welche leider die Vorauswahl zur Stadtpräsidentin nicht geschafft hat, aber ihre Haare oft offen trägt und wunderschön aussieht damit.

Hier habe ich bisher kaum afrikanische Frauen getroffen, die ihre Haare so offen tragen – die meisten erwachsenen Frauen tragen ihre Haare geflochten oder unter einer Perücke. Es stimmt mich etwas traurig, dass dieses Überbleibsel aus der Kolonialzeit noch so stark vorhanden ist, denn die Kolonialherren benutzten unter anderem ihre Thesen zu «Afrikanischem Haar» als Mittel zur Entmenschlichung und Rechtfertigung der Versklavung und Ausbeutung der Afrikaner:innen. Diesbezüglich bin ich froh, dass diese Thematik nicht nur mich als «aussenstehende glatthaarige Person» stört, sondern es auch immer mehr Widerstand gibt von afrikanischen Frauen. Nadege Bizimungu, eine Ugandische Autorin von Minority Africa, hat einen spannenden Artikel über dieses Thema verfasst: The racist politicization of Black hair in African schools – Minority Africa
Noch eine letzte interessante Tatsache zum Besuch eines Gymnasiums in Tansania (dieses Mal ohne das Haar-Thema): basierend auf den Ergebnissen der Standardisierten Abschlussprüfung am Ende der Grundschule (PSLE) werden hier Schüler:innen einem Gymnasium zugewiesen – und eine Platzierung ist in ganz Tansania möglich. So kommt es, dass Diana 16-Busstunden von ihrem eigentlichen Wohnort das Gymnasium besucht. Das wiederum führt dazu, dass sie ihre Familie und Freunde nur 2x pro Jahr = im Sommer und im Winter während den Schulferien besuchen kann. Wobei die Schule das Handy der Schüler:innen während den Schulmonaten einsackt = keine digitale Kommunikation, keine digitale Information und keine anderen Vorteile (wie Musik, Lern-Apps, Zeitungen) sind für Diana während dieser Zeit zugänglich. Der einzige Kommunikationsweg sind „Schul-Telefone“ (Fixnet), die sie brauchen dürfen (weiss nicht, wie regelmässig).
Aufgrund der Informationen, die ich in meinem Reiseführer gelesen habe oder von Menschen hier in Tanzania erfahren habe, hat diese Durchmischung ihren Ursprung in der Politik des ersten Präsidenten von Tanzania, Julius Nyerere. Er setzte sich aktiv dafür ein, ethnische Identitäten zugunsten einer einheitlichen tansanischen Nationalidentität zu verdrängen. Er war der Ansicht, dass Stammesdenken eine Bedrohung für die nationale Einheit und Entwicklung darstellte, und propagierte die Vision einer einheitlichen tansanischen Nation. Er war es auch, der Suaheli als Amtssprache einführte und sich aktiv dafür einsetzte, dass Suaheli gefördert und verwendet wird. Im Sinne vom Ujamaa-Sozialismus hatte er dazumal auch ganze Dörfer umgesiedelt, um die Durchmischung unter den verschiedenen Volksgruppen zu fördern. Bei über 120 verschiedenen ethnischen Gruppen, die jede eine einzigartige Kultur, Sprache und Traditionen mitbringt, kann man seine Befürchtung einerseits nachvollziehen, andererseits ist es auch schade, dass diese Vielfalt so weniger sichtbar ist. Wer mehr über den Afrikanischen Sozialismus lesen möchte, findet dazu zum Beispiel einen Wikipedia-Eintrag: Ujamaa – Wikipedia
Zum Schluss noch etwas Geschichte: Warum gibt es hier einen Polnischen Friedhof?



Gestern habe ich Osward gefragt, ob er mir einen Vorschlag hat für einen Ausflug hier in der Region. Und er meinte: «Geht doch zum Polnischen Friedhof». Er erklärte mir, dass es nach dem zweiten Weltkrieg in Afrika an 25 verschiedenen Orten Flüchtlingslager gab für Menschen aus Polen. Diese Polinnen und Polen wurden von den Soviets zuerst in Arbeitslager nach Sibirien gebracht. Von dort aus sind sie ein paar Jahre später in den Iran geflüchtet, vom Iran wurden einige von ihnen nach Indien gebracht und von Indien wurden 19’000 Flüchtlinge zu Flüchtlingslagern in Afrika verschifft, in Regionen, die damals zu britischen Kolonial- und Mandatsgebieten gehörten z.B. Kenia, Uganda und Tanganyika – damaliger Name von Tanzania. Das grösste Flüchtlingslager befand sich interessanterweise tatsächlich im Dorf, wo wir wohnen, in Tengeru. Hier lebten zwischen 1942 und 1945 rund 4’000 Flüchtlinge aus Polen, mehrheitlich Frauen und Kinder, wobei anscheinend die Hälfte Kinder waren. Ich habe die brutale Geschichte dieser Flüchtlinge nun sehr abgekürzt, wer mehr dazu erfahren möchte, findet im Internet viel Informationen zum Beispiel Tengeru | Polish traces around the world und Zweiter Weltkrieg: Als 19.000 Polen in Afrika Zuflucht fanden – FOCUS online.
Und für alle, die sich noch fragen…
…warum wir einen Arzt konsultiert haben in einer Privatklinik in Arusha: Grundsätzlich geht es uns beiden gut – abgesehen von einer Erkältung, die uns letzte Woche während den regnerischen Tagen erwischt hatte. Doch die Mücken mögen meinen Sohn – und ein Stich im Gesicht hatte sich entzündet und ich war besorgt, dass vielleicht ein Bakterium in der Wunde für die Entzündung sorgte. Tatsächlich hat der Arzt uns dann ein Antibiotikum verschrieben und uns eine Crème mitgegeben für die äussere Anwendung. Da die Wunde noch am selben Abend viel besser aussah, habe ich mich dann doch gegen das Antibiotika entschieden.
Mittlerweile wurde er wiederum gestochen – dieses Mal ins Augenlied = wieder geschwollen im Gesicht. Dieses Mal bin ich schon etwas gelassener und erinnere mich an ähnliche Auswirkungen von Mückenstichen bei mir selbst. Die Zeit heilt manche Wunden – in diesem Sinne hoffen wir auf baldige Besserung und sind froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Und für alle, die sich fragen, ob es hier in Arusha Tsetse-Fliegen oder Malaria-Mücken gibt: Nein, die finden wir dann auf Safari (hoffentlich nicht!).
Fotos & Videos
Hier noch Impressionen von unserem Ausflug zum Wasserfall nördlich von Arusha – inkl. Bachwanderung und von unserem zweiten Besuch vom Duluti See:















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